Alle Segel gesetzt  Gegen Sonnenuntergang kam der Fremde unter vollen Segeln an, eine vollständige Leinwandpyramide. Nie zuvor, kann ich wohl sagen, wurde Kap Hoorn so tollkühn herausgefordert. Leesegel, Royals, Mondrei­ter und alles übrige. In Rufweite lief er an unserem Heck vorüber, und der Signalmeister hißte unsere Flagge an der Gaffel. „Schiff ahoi!" rief  der  wachhabende Leutnant  durch sein Sprachrohr.

„Hallo!" brüllte ein alter Kerl in einer grünen Jacke, eine Hand am Mund, während er sich mit der anderen an der Besanwant festhielt.

„Was für'n Schiff ist das?"

„Die 'Sultan', Indienfahrer aus New York. Auf der Reise nach Callao und Kanton, seit sechzig Tagen unterwegs, alles in Ordnung. Was für 'ne Fregatte ist das?"

„Das USA-Schiff 'Neversink', auf der Heimreise." „Hurra! Hurra! Hurra!" schrie unser begeisterter Landsmann, hingerissen von Patriotismus.

Inzwischen war die "Sultan" vorübergerauscht, aber der wachhabende Leutnant konnte eine Abschiedswarnung nicht unterdrücken.

„Hört mal zu! Ihr würdet gescheiter tun, ein paar von euren Papierdrachen einzuziehen. Hütet euch vor Kap Hoorn!"

Aber der freundliche Rat ging in dem nun auffrischenden Wind verloren. Mit einer in diesen Breiten keineswegs ungewöhnlichen Plötzlichkeit wurde aus der leichten Brise bald eine Reihe von scharfen Böen, und wir sahen, wie auf unserem segelprunkenden Prahlhans von einem Indienfahrer mit einemmal alles losging und seine Bramleesegel und Klüver sich schleunigst von den Spieren selbständig machten. Der Klüver wurde in die Luft gefegt, ein paar Minuten lang zusammengerollt und wie ein Fußball in der Bö umhergeschleudert. - (weiss)

Alle Segel gesetzt (2)  Alle Mann wurden an Deck geholt, um die Raaen vierkant zu brassen und mehr Segel zu setzen. Im Augenblick lief die Nachricht durchs Schiff, daß der Kapitän abhalte, und daß die Nase des Schiffes nach Boston zeige und Kap Hoorn über der Heckreling peile. Das war ein Augenblick, der alle mit Begeisterung erfüllte, jeder tat sein Bestes, und selbst die beiden Kranken kamen heraus, um beim Setzen der Segel mit anzufassen. Der Wind kam recht aus Südwest und wehte mit Sturmesstärke. Ein dicht am Winde segelndes Schiff hätte nicht mehr als ein einziges dichtgerefftes Segel führen können. Da wir aber vor dem Winde liefen, so konnten wir schon etwas riskieren. Wir steckten aus den dichtgerefften Marssegeln ein Reff aus und setzten die gereffte Fock. Die Marsfallen wurden mit alle Mann besetzt, und mit "Cheerly men" wurden die Raaen vorgeheißt. Alle fielen in den Refrain so kräftig ein, daß es bis halbwegs Staten Island zu hören sein mußte. Unter der vermehrten Segelfläche jagte das Schiff durchs Wasser. Es konnte sie aber gut tragen, und der Kapitän rief vom Achterdeck: „Zweites Reff aus dem Vormarssegel!" Zwei Mann gingen nach oben und machten die vereisten Reffknüttel und Stekbolzen los. Das Fall wurde besetzt und die Raa vorgeheißt. Der Sturm drückte in das vergrößerte Segel. Alle Mann wurden an Deck gehalten, um die Wirkung der Veränderungen abzuwarten. Das Schiff hatte nun soviel Segel oben, wie es nur eben tragen konnte. Bei der schweren achterlichen See konnte das Ruder von zwei Mann nur mit Mühe gehalten werden. Der Gischt spritzte am Steven hoch und flog über das ganze Schiff hinweg bis zum Achterdeck. Wir machten herrliche Fahrt. Vorsichtshalber wurden Reservebrassen geschoren und steifgeholt. Die Pardunen wurden durch Taljen entlastet und alles so gut wie möglich gesichert. Der Kapitän ging mit raschen Schritten an Deck auf und ab und beobachtete beständig die Segel und die Wolken zu luvward. Der Obersteuermann stand in Lee, rieb sich vergnügt die Hände und unterhielt sich laut mit dem Schiff. „Hurra! Du alte Waschbalje! Die Bostongirls haben die Schleppleine zu fassen gekriegt!." Wir standen auf der Back und beobachteten, ob die Stengen den Druck aushielten und schätzten die Fahrt des Schiffes. Da hörten wir die Stimme des Kapitäns: „Mr. Brown, setzen Sie das Marsleesegel!" Einen Augenblick stand der Obersteuermann wie verdonnert. Dann aber sprang er voraus. „Los, nach oben! Marsleesegelspiere ausbringen!" Halsen und Schoten wurden geschoren, die Spiere ausgebracht und gelascht. Es war eine klare Sternennacht, kalt und stürmisch. Aber jeder arbeitete willig und mit Freude. Der eine oder andere mochte wohl denken, daß der Alte verrückt geworden war. Es war ein neues Leesegel angefertigt worden, mit einem Reff darin. Das war etwas, von dem bisher wohl kaum jemand gehört hatte. Die Matrosen hatten schon viele Glossen darüber gemacht. Sie sagten, wenn es Zeit wäre ein Leesegel zu reffen, dann wäre es auch Zeit, es wegzunehmen. Wir sahen aber jetzt, daß es doch zu gebrauchen war. Da im Marssegel ein Reff war, so hätten wir das Leesegel nicht ungerefft setzen können. Aber soviel ist sicher, ein gerefftes Leesegel war uns etwas Neues. Und doch hatte es etwas für sich. Wenn es wegflog, dann konnten wir nur Segel und Spiere verlieren. Das ungereffte Marssegel aber hätte uns vielleicht die Stenge gekostet.

Während wir oben alles klarmachten, hatte man an Deck das Segel, mit einem Reff darin, an der Raa festgemacht. Die Raa wurde auch glücklich bis zum Block vorgeheißt. Als wir aber den Hals des Segels an der Spiere ausholten, bog sich diese wie eine Gerte. Jeden Augenblick glaubten wir, sie wegbrechen zu sehen. Die Spiere war aus der zähen Rottanne (spruce) hergestellt und war geschmeidig wie Fischbein. Mit alle Mann gelang es uns schließlich, den Hals bis an das Ende der Spiere zu bekommen und die Schot wurde nach unten ausgeholt. Um den größten Druck von dem Segel zu nehmen, wurde die Preventer- und Luvbraß gut steif gesetzt. Mit diesem Zuwachs an Segelfläche raste das Schiff wie verrückt durchs Wasser. Da der größte Teil der Segel vorn stand, wurde es aus dem Wasser gehoben. Es schien tatsächlich über die Seen hinwegzulaufen. Seit ihrer Indienststellung ist die „Alert" wohl nie so gepreßt worden. Nicht den kleinsten Lappen Segeltuch hätte sie mehr tragen können.  - (dana)

Alle Segel gesetzt (2)

- N. N.

 

Segelschiff

 

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