lbino
Sie war als Labortier geplant, stammte aus einer Inzucht, bereits
einer Generation angehörend, die nicht mehr so fertil ist, ohne Leistungsdepressionen
aufzuweisen; die Vitalität reichte fürs Reagieren, und sie reagierte. Allerdings
war sie kein Markentier wie das handliche Zwergschwein der Vitacon-Food-and-Drugs-Company.
Als sie auf die Welt kam, glich sie nicht einem Säugling, wie dies Ferkel tun,
weswegen sie Produzenten von Kindermilch und Milchersatz-Präparaten kaum dienlich
sein konnte. Auf sie als Labortier hätte kein Tiertechniker ein Patent angemeldet.
Sie gehörte zu den gängigen Gruppen von Testtieren, die bei den Versuchstier-Verbrauchern
beliebt sind; dank einer nach wie vor hohen Vermehrungsrate ist der Nachschub
gesichert und die Haltung kostengünstig. Das trifft zwar auch auf die Mäuse
zu, die im gleichen Institut zum Einsatz kamen. Aber als Ratte
war sie größer als eine Maus; das erleichterte die Applizierung
von Substanzen und chirurgische Eingriffe. Allerdings war sie nicht so groß
wie ein Meerschweinchen, war nicht gleicherweise empfänglich
für Tuberkulose und teilte nicht wie dieses mit den Menschen das Problem, sich
Vitamin C zuführen zu müssen. Sie war auch nicht so gefühlsbetont wie die Affen,
so daß an ihr nicht Mittel gegen Schwermut und Trunksucht ausprobiert wurden.
Andererseits gehörte sie zu einer Gattung, die durchaus spontan Tumoren ausbildet,
unter günstigen Laborbedingungen erst recht, obgleich die bösartige Geschwulst,
anders als beim Menschen, häufiger in der Leber als im Darm auftritt. Als Allzwecktier
hätte sie wahrscheinlich bei Überfütterung mit Butter Thromben produziert, wäre
für jede Art von Transplantation, ob Haut oder Organ,
verwendbar gewesen und hätte bei entsprechender Ernährung auch gezeigt, wie
sich Mangelerscheinungen auswirken. Doch sie war für eine Routine-Reaktion vorgesehen.
Als Ratte war sie unter den Labornagern dennoch von internationaler Bedeutung
und nicht von regionaler wie die Mongolische Rennschenkelmaus oder der Steppenlemming,
denen es nie gelang, sich in den Laboratorien auf breiter Ebene durchzusetzen.
Geplant, wie sie war, war sie ein Albino. Ihr Fell war weiß wie die Kittel und
Schürzen derer, die sich mit ihr abgaben, und weiß wie die gekachelten Wände,
zu denen sie mit roten Augen hinsah. - (
loe
)
Albino (2) Ein schwarzer Riese, so schwarz, daß
er in dem hellen Licht dunkelviolett aussah, der schwärzeste Mann, den je einer
von ihnen gesehen hatte, kauerte über einem großen grünen Schiffskoffer, der
vorher nicht dagewesen war.
Es war die Größe des Mannes, die sie so überraschte. Er trug die Uniform
eines Bahnspediteurs, die ihm viel zu klein war; die Jacke ließ sich auf der
Brust nicht zuknöpfen, die Ärmel bedeckten nur die Hälfte der Unterarme, und
die Hose reichte ihm bis kurz unter die Wade. Seine violett-schwarzen Füße steckten
in blauen Turnschuhen, und auf seinem eindeutig violetten, krausen Haar saß
eine Uniformmütze.
Rosa Augen in dem schwarzvioletten Gesicht schossen hierhin und dorthin.
Und dann begann der Riese zu laufen.
«Halt!» schrien verschiedene Stimmen gleichzeitig.
Was den Riesen aber zurückhielt, war Coffin Eds Stimme: «Gib auf, Pinky.
Wir haben dich!»
«Pinky!» Der Lieutenant vom Morddezernat war starr. «Mein Gott, ist das Pinky?»
«Er hat sich angemalt», erklärte Coffin Ed. «In Wirklichkeit ist er ein Albino.»
- Chester Himes,
Heroin für Harlem. Reinbek bei Hamburg 1968 (zuerst 1966)
Albino (3)
Albino (4)