fghanistan Die Dörfer in Nuristan liegen in einer so schwindelerregenden Schräge an den Berghängen, daß Leitern aus Deodarzeder als Straßen dienen müssen. Die Menschen haben helles Haar und blaue Augen und tragen Streitäxte aus Messing. Sie tragen Pfannkuchen-Hüte und kreuzweise geschnürte Riemen an den Beinen, und ihre Augenlider sind reichlich mit khol geschminkt. Alexander hielt sie irrtümlich für einen Stamm seit langem verschollener Griechen, die Deutschen für einen arischen Stamm.
Unsere Träger waren ein unterwürfiger Haufen. Sie beklagten sich unentwegt, daß ihre armen Füße sie nicht länger tragen könnten, und warfen neidische Blicke auf unsere Stiefel. Um vier Uhr wollten sie unser Lager bei ein paar verfallenen Häusern im Schatten aufschlagen, aber wir bestanden darauf, das Tal weiter hinaufzuwandern. Eine Stunde später kamen wir zu einem Dorf, das von Walnußbäumen umgeben war. Die Dächer waren orangerot von Aprikosen, die in der Sonne trockneten, und Mädchen in krapproten Kleidern spielten auf einer Blumenwiese.
Der Dorfvorsteher begrüßte uns mit einem aufrichtigen, offenen Lächeln. Dann gesellte sich ein bärtiger junger Satyr zu uns, in dessen Haar Weinblätter und Mädesüß geflochten war und der uns aus seiner Lederflasche einen Strahl herben weißen Weins anbot.
»Hier halten wir an«, sagte ich zum Anführer der Träger. »Wir halten nicht an«, sagte er.
Er hatte sein Englisch im Basar von Peshawar gelernt. »Wir halten an«, sagte ich. »Diese Menschen sind Wölfe«, sagte er. »Wölfe?« »Sie sind WöIfe.«
» Und die Menschen in dem Dorf?«fragte ich und zeigte auf ein zweites, verkommen aussehendes Dorf etwa eine Meile stromaufwärts.
»Sie sind Menschen«, sagte er. »Und das Dorf dahinter? Wölfe, nicht währ?« »Wölfe«, nickte er. »Was für einen Unsinn du redest!«
»Kein Unsinn, Sahib«, sagte er. »Manche Menschen sind Menschen, und andere
Menschen sind Wölfe.« - (
chatw
)
Afghanistan (2) Als ich in Aligarh
studierte, da fürchteten wir uns vor den Mitschülern, die aus Afghanistan kamen,
sie trugen Waffen und einen Ausdruck auf dem Gesicht, der den Teufel eingeschüchtert
hätte, und es beruhigte uns, daß sie wenigstens beteten, fünfmal am Tag, denn
dann mußten sie ihre Waffen ablegen und ihren stolzen Kopf zu Boden neigen.
Und trotzdem, und daran erkennen Sie die Hybris des Westens, mein Lieber, werden
sie weiterhin unterschätzt, wie anno dazumal, als die Briten zum ersten Mal
einmarschierten und dann ihre Festungen im Flachland bauten, weil es bequemer
war, aber wer die Berge nicht kontrolliert, hält keine Macht in Afghanistan,
und dann überschütteten sie irgendeinen Ziegenhirten mit Geld, weil dieser sich
in ihren Augen überzeugend als Emir gebärdete, ohne zu bedenken, wie sehr diese
Begünstigung die alten und mächtigen Klans verletzte. Erklären Sie mir bitte
nur dies, mein Lieber, wenn die Briten die höchstentwickelte Zivilisation auf
Erden darstellen, wie sie früher behaupteten und heute stillschweigend immer
noch glauben, wieso gelingt es ihnen nicht - so wie es auch den Amerikanern
nicht gelingt -, sich Verbündete auszusuchen, die im Lande, die beim Volk respektiert
werden, wieso sind sie, die so klug und gebildet sind, nicht in der Lage, wahre
Freunde zu finden? Wieso vereinen sie sich mit den Gaunern und den Gierigen?
- Nach Ilija Trojanow, Nomade auf vier Kontinenten.
Auf den Spuren von Sir Richard Francis Burton. München 2008 (zuerst 2007)
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