ffaire (Schmidt) Johann Georg Tinius wurde 1764 geboren. Er absolvierte in Wittenberg das Gymnasium und erlangte auf der theologischen Fakultät der dortigen Universität den Titel eines Magisters. Er begann seine Laufbahn als Lehrer, dann wurde er in die Gemeinde Poserna unweit von Leipzig als Seelsorger berufen. Während seiner Laufbahn zeichnete er sich überall und immer aus und errang das höchste Lob sämtlicher Vorgesetzter, die sein hervorragendes Wissen, seinen großen Fleiß und moralischen Lebenswandel hervorhoben.

Seine einzige Leidenschaft war das Sammeln von Büchern. Seine Bücherei bestand aus dreißigtausend, nach anderen Angaben aus sechzigtausend Bänden; welcher der beiden Angaben man auch Glauben schenkt, es bleibt eine für damalige Zeiten unerhört hohe Ziffer. Tinius war ein Bibliophile im wahrsten Sinne des Wortes und liebte seine Bücher ihres Inhalts wegen. Er las sie alle und schrieb auch selbst eine Menge theologischer Abhandlungen. Für eine derart große Büchersammlung reichten die geringen Einnahmen eines Lehrers und Seelsorgers freilich nicht aus; selbst die geringen Summen, die ihm die Ehefrauen bei seiner zweimaligen Verehelichung ins Haus brachten, erwiesen sich als ungenügend. Tinius ließ sich in Bücherspekulationen ein, kaufte ganze Bibliotheken sowie Nachlässe auf und verkaufte die Duplikate weiter. Er unterhielt Verbindungen mit den Sammlern ganz Europas und hatte auch in Amerika Geschäftsfreunde. Auf diese Weise gelang es ihm, seine riesige Bibliothek zusammenzutragen, aber er geriet trotzdem häufig in schwierige Situationen, denn er konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich Büchersammlungen, die zur Versteigerung gelangen sollten, im voraus zu sichern, auch wenn er den Verkaufspreis bis zum festgesetzten Termin nicht auftreiben konnte.

Nun geschah es, daß ein alter Leipziger Kaufmann namens Schmidt am Vormittag des 28.Januar 1812 blutüberströmt in seiner Wohnung aufgefunden wurde. Als der Alte zu sich kam, erzählte er, daß ihn ein etwa vierzigjähriger Fremder mit dem Aussehen eines ländlichen Seelsorgers aufgesucht hatte. Der Mann wollte Obligationen der Stadt Leipzig erstehen, und der Kaufmann legte ihm auch ein Hundert-Taler-Wertpapier vor. - Doch dann verlor er das Bewußtsein und konnte sich an nichts mehr erinnern. Die Untersuchung ergab, daß der Kopf des alten Schmidt Spuren von Wunden aufwies, die durch Schläge mit einem mit großer Kraft geführten schweren Gegenstand verursacht worden waren. Und aus der Schublade seines Schreibtisches fehlten 11 Stück Obligationen der Stadt Leipzig im Wert von 3000 Talern. Die Behörden schickten sogleich Leute aus, die von Bank zu Bank eilten, um die Einlösung der Wertpapiere zu verhindern, aber sie kamen schon zu spät. Ein zirka vierzigjähriger Mann, der aussah wie ein Landpfarrer, hatte bei der einen Bank die Obligationen zum Tageskurs in Goldmünzen eingewechselt. Bald darauf starb der bejahrte Kaufmann an seinen Wunden, und die Untersuchung gelangte, wie man zu sagen pflegt, an einem "toten Punkt" an. Der Täter war und blieb verschwunden.

Ein Jahr verging. Die Leipziger hatten den Fall Schmidt schon vollständig vergessen, als am 8. Februar 1813 die Nachricht von einem neuerlichen Mord die Stadt alarmierte. Die fünfundsiebzigjährige Witwe Kunhardt hatte am Morgen ihr Dienstmädchen einkaufen geschickt, und als das Mädchen znrückgekommen war, hatte sie in der Wohnung ihre Herrin blutüberströmt, mit eingeschlagenem Kopf vorgefunden. Die Greisin konnte nur aussagen, daß ein Fremder zu ihr gekommen war und ihr einen Brief vorgewiesen hatte, in dem ein ihr Unbekannter 1000 Taler von ihr erbat, die er später zurückerstatten wollte. Plötzlich hatte sie der Fremde niedergeschlagen, wie und womit, wußte sie nicht. Mehr war nicht zu erfahren, am dritten Tage starb die Frau. Von ihrem Besitz fehlte nichts; sicherlich war der Täter durch ihre lauten Hilferufe erschreckt worden und geflüchtet. Von neuem begann die Polizei nach dem Täter zu fahnden, doch diesmal nicht blindlings wie im Falle Schmidt. Auf Grund der Aussage des Dienstmädchens näherten sich die Fangarme des Polypen dem Magister Tinius. Das Mädchen gab an, als sie an jenem Morgen in die Wohnung ihrer Dienstgeberin zurückkam, im Treppenhaus einem Manne begegnet zu sein, den sie von früher kannte. Es war der Magister vom Lande, der in der Herberge abzusteigen pflegte, in der sie vorher gedient hatte. Vom Herbergswirt erfuhr man, daß Magister Tinius auch am Tag des Mordes bei ihm Quartier bezogen hatte. Der Magister wurde verhaftet und vor Gericht gestellt.

Was danach geschah, ist vor allem für Kriminalisten interessant. Tinius leugnete während seiner langen Untersuchungshaft bis zuletzt. Man konnte keinerlei unmittelbare Beweise erbringen, doch ergaben sich eine Reihe schwerwiegender Verdachtsmomente. So stellte sich heraus, daß der Magister bereits einen Tag vor dem Mord im Haus des Opfers gesehen worden war. Am Morgen der Tat hatte ihn das Mädchen im Treppenhaus erkannt. Der Brief, den man am Tatort fand, wies seine Handschrift auf. In der Wohnung des Magisters stieß man auf eine kleine Axt, die gerade in einer Manteltasche Platz haben könnte und deren spitze Ecke genau in die Kopfwunde des Opfers paßte. Alldem aber setzten die Kassiber des Angeklagten die Krone auf, die zu dem Zweck geschrieben wurden, falsche Zeugen für den Prozeß zu werben. Einer der abgegangenen Briefe gab dem Magister den Gnadenstoß, denn in ihm stand: "Falls sich die Untersuchung auch auf den Fall Schmidt erstrecken sollte, ist das und das auszusagen." (Es folgte die Instruktion.) Augenblicklich wurden die Akten der Affäre Schmidt hervorgeholt - man führte die Untersuchung nun schon unter der Voraussetzung, daß Tinius der Mörder sei - doch alles, was man herausbekam, wär, daß der Magister ein paar Wochen nach dem Mord eine Bibliothek gekauft und dafur einen Preis von dreihundert Louisdor in bar gezahlt hatte. Tinius fand für alles eine Ausrede und widerlegte sämtliche Anklagen, die gegen ihn vorgebracht wurden, aber die belastenden Angaben verdichteten sich schließlich so sehr, daß er verurteilt wurde. Bis zum Urteilsspruch der höchsten Instanz dauerte es ein bißchen lange, nämlich volle zehn Jahre. Inzwischen war die Zweiteilung Sachsens erfolgt. Poserna war unter die Herrschaft Preußens geraten, die Akten wanderten hin und her, bis endlich 1820 das Urteil in erster Instanz und 1823 das rechtskräftige Urteil in zweiter Instanz verkündet wurde. Der Magister wurde in der Mordaffäre Schmidt für nicht schuldig befunden, wegen des andern Mords jedoch zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Von der zehnjährigen Untersuchungshaft wurde nicht ein Tag angerechnet, und der sechzigjährige Magister mußte zwölf weitere Jahre absitzen. Er verbrachte also volle zweiundzwanzig Jahre in Zuchthaus!  - Nach: Istvan Ráth-Végh, Die Komödie des Buches. Leipzig 1984 (Kiepenheuer)

Affaire (2) Pnin hatte eine irritierende Art, Morgen um Morgen mindestens fünf Minuten lang auf dem Treppenabsatz zu stehen, eifrig seine Kleidung auszubürsten und dabei die Bürste über die Knöpfe klappern zu lassen. Er hatte eine heimliche, leidenschaftliche Affaire mit Joans Waschmaschine. Obwohl ihm untersagt worden war, auch nur in ihre Nähe zu kommen, wurde er ein ums andere Mal bei einem Verstoß ertappt. Unter Hintanstellung allen Anstands und aller Vorsicht fütterte er sie mit allem, was zufällig zur Hand war, seinem Taschentuch, Geschirrtüchern, einem Haufen Unterhosen und Hemden, die er aus seinem Zimmer hinuntergeschmuggelt hatte, nur um des Vergnügens willen, durch jenes Bullauge zu verfolgen, was sich wie ein endloses Getümmel von Delphinen mit der Drehkrankheit ausnahm. Nachdem er sich eines Sonntags seiner Einsamkeit vergewissert hatte, konnte er aus schierer wissenschaftlicher Neugier nicht widerstehen, der Maschine ein Paar lehm- und chlorophyllverschmierte Leinenschuhe mit Gummisohlen zu überlassen, damit sie damit spielen konnte; die Schuhe trampelten mit einem gräßlichen, unrhythmischen Geräusch davon, als marschiere eine Armee über eine Brücke, und kehrten ohne Sohlen zurück.  - Vladimir Nabokov, Pnin. Reinbek bei Hamburg 2004 (zuerst 1957)

Geschichten
Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text
Unterbegriffe

 

 

VB
Synonyme