Adressat, provisorischer    Literatur schreiben ist kein soziales Gebaren. Sie kann ein Publikum finden. In dem Maße jedoch, als sie Literatur ist, ist das Publikum nur ein provisorischer Adressat, Sie wird für Ungewisse Leser geschaffen, solche die erst geboren werden sollen, dazu bestimmt, nie geboren zu werden; für solche, die schon geboren und andere, die bereits gestorben sind; auch für unmögliche Leser. Nicht selten setzt sie, wie das Selbstgespräch von Wahnsinnigen, die Abwesenheit des Lesers voraus. Der Schriftsteller hat daher Mühe, mit den Ereignissen Schritt zu halten; wie in den alten Komödien lacht und weint er zur Unzeit. Seine Gebärden sind unbeholfen, doch insgeheim exakt. Höchst unvollkommen ist sein Dialog mit den Zeitgenossen. Er ist ein blitzschneller Spätling, seine Reden bleiben vielen, sogar ihm selbst, unverständlich. Er spielt auf Ereignisse an, die nach zweihundert Jahren vorgefallen sind, die vor drei Generationen vorfallen werden.   - Giorgio Manganelli, Literatur als Lüge. Nach (man)
 

Adressat

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme