bstand   Vielleicht bin ich aus deinem und meinem Land weggegangen, weil ich anders als du, Kobal, dort nicht zum brüderlichen Abstand fähig bin, jedenfalls nicht auf die Dauer, sondern den Leuten zu nahe komme, zu viel von ihnen weiß und vor Wissen dann kleinlich werde. Ja, im eigenen Land, so froh ich immer wieder zurückkehre, fühle ich mich über kurz oder lang beengt, ebenso von dem besonderen Volk wie von der eigenen Kleinlichkeit. Im Ausland, abseits der Metropole, umgeben von einer Sprache, die nicht die meine ist und es nie sein wird, kann ich gar nicht anders, als den Abstand zu wahren, vermeide auch nach Kräften, von den Hiesigen etwas zu erfahren (befrage sie nur aus Schwäche), erhalte mir um so mehr die mir eigentümlichen Ahnungen und kann so, was mir zu Hause unmöglich war, von diesem und jenem der Abwesenden tief träumen, zuzeiten sogar, wie gerade in den langen Winternächten, in fast unverstümmelter Sagen-, Fabel- oder Urgeschichtsform. - Peter Handke, Mein Jahr in der Niemandsbucht. Frankfurt am Main 1994

Abstand (2) Mit Doktor Kafka entlang der Moldau bis zum Nationaltheater. Von dort auf den Graben und links durch die Bergmann- und Eisengasse zurück auf den Altstädter Ring. Auf dem Wege begegneten wir Franz P., dem Vorzugsschüler und ›Besserwisser‹, mit dem ich einige Jahre in die Schule gegangen bin. Nun glitten wir mit einem flüchtigen Gruß aneinander vorüber. Im Weitergehen erzählte ich dann Doktor Kafka, wie wir - d. h. die Meute der übrigen Jungen, der ich auch angehörte - P. nicht leiden konnten und ihn bei jeder Gelegenheit ›vermöbelten‹.

Abschließend sagte ich: »Das ist nun schon sehr lange her. Ich habe mich später mit P. versöhnt und an seiner Seite sogar gegen die anderen Jungen gekämpft.« »Mit welchem Erfolg?« fragte mich sachlich Kafka. »Ich glaube, mit gutem«, antwortete ich. »Zuerst gab es auf beiden Seiten Beulen und angerissene Ohrläppchen, aber das dauerte nicht lange. Dann sahen die Burschen, daß sie auf P. und mich nicht mehr nur so zum Vergnügen losdreschen konnten, also ließen sie ihre Feindseligkeiten bleiben.« »Die Angriffs- und Abwehrkräfte waren demnach im Gleichgewicht«, bemerkte Doktor Kafka. Ich nickte: »Ja, man wich uns aus.« Doktor Kafka ließ ein leises, in der Kehle glucksendes Lachen vernehmen und meinte dann: »Das war ein bedeutender Sieg. Dem Feind einen Abstand aufzuzwingen, das ist wohl der größte Triumph, der sich erreichen läßt. Denn mit einer endgültigen Vernichtung des Bösen? Mit der kann man nicht rechnen. Das ist nur ein wahnwitziger Traum, durch den das Böse nicht geschwächt, sondern - ganz im Gegenteil! - nur gestärkt und in seiner Wirkung beschleunigt wird, da man über seine wahre Existenz hinwegsieht und die Wirklichkeit damit eigentlich nur zu einer eigenen, von täuschenden Wünschen durchsetzten Vorstellung umlügt.«- Gustav Janouch, Gespräche mit Kafka. Aufzeichnungen und Erinnerungen. Frankfurt am Main 1981 (Fischer Tb. 5093, zuerst 1954)

Abstand (3) Du siehst die Frauen aus einem gewissen Abstand an, was vielleicht nicht einmal so schlecht ist; jedenfalls findest du dich damit ab. Und er meinte, dies sei gewissermaßen klug oder in Ordnung, falls man ›die öffentliche Meinung‹ oder etwas Ähnliches zu Rate zog, nur gefiel ihm halt diese »Ordnung« nicht; sie ödete ihn an, obwohl er wußte, daß er sich Treutlein Hannis wegen an die Ordnung halten werde. Andere hatten Frauengeschichten »noch und noch«, und dies war nicht beneidenswert. Für Eugen Rapp war auch die sogenannte Freude schmerzhaft (kurios). Obwohl's für einen, der über Menschen schrieb und von Menschen erzählte, wichtig war, andere Verhältnisse, andere Wohnungen, andere Gerüche und Geräusche zu hören und zu riechen, wie das Brummen eines Rohrs über der Badewanne, wenn das Wasser einlief ... So ungefähr würde sich's vielleicht verhalten, sagte er zu sich selber, und wenn er keine Affären habe - oder wie man so etwas nennen wollte - fehle ihm etwas; schließlich gehörte es dazu (zum Leben nämlich), obwohl er nicht darauf versessen war; aber die Möglichkeiten drängten sich ihm in der Phantasie zuweilen auf. Dabei kam er sich komisch vor, allerdings schmerzhaft komisch; und er erinnerte sich, daß er in den Vierzigern stand. Früher hatten sich mit vierzig Jahren auf dem Land die Männer Bärte wachsen lassen, wahrscheinlich um anzudeuten, von nun an käme die Liebe (oder was man dafür hielt) für sie nicht mehr in Frage. Jedenfalls konnte kein Mensch an einem anderen alles für sich alleine haben, weil mindestens dessen Gedanken ... - Hermann Lenz, Ein Fremdling. Frankfurt am Main 1988 (st 1491, zuerst 1983)

Abstand (4)  Ich habe es stets abgelehnt, verstanden zu werden. Verstanden werden heißt sich prostituieren. Ich ziehe es vor, als derjenige, der ich nicht bin, ernst genommen, und als Mensch mit Anstand und Natürlichkeit verkannt zu werden. - Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares. Zürich 2003

Abstand (5) In denen Rechten giebt es dieserwegen öffters gewaltige Streitigkeiten, daß einer seinem Nachbar, mit Setzung des Abtrittes nicht zu nah kommen möge. Bey den Römern hielte man dafür; daß so tief die Grube wäre, so weit auch dieselbe von des Nachbars Grund und Boden abstehen müßte. Ohne Zweiffel, damit die Erde nicht nachschiessen könnte. Andere Land-Gesetze wollen; daß alle Abtritte 3 Klafftern von des andern Wand abstehen sollen. Allein alles dieses will bey den Teutschen deswegen nicht zureichen. Die Römer schlossen alle ihre Abtritte in Mauren ein; die Teutsche hingegen haben die unsaubre Weise, solche offen zu lassen. Mithin da der garstige Anblick und Gestanck dem Nachbar die Lufft verfälschen kan; so will nöthig seyn, darüber zu halten, und durch neue Satzungen dem üblen Gesicht und Geruch zu Hülffe zu kommen. - Zedler, nach Wikisource

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