bschrecken  Margot war das Normale; sie war etwas, womit man das Leben hinbringen konnte, ohne es besonders zu spüren, und das wäre vielleicht auch für Abschaffel das Erreichbare gewesen. Sie hatte ihm schon vieles beigebracht, ohne daß er es im einzelnen bemerkt hatte. Morgens, wenn sie zusammen frühstückten, kochte sie zwei weiche Eier, die, wenn sie auf den Frühstückstisch kamen, auch wirklich weich und warm waren. Denn Margot war es gewesen, die eines Tages eine Eieruhr für seinen Haushalt mitgebracht hatte, die pünktlich nach fünfeinhalb Minuten Kochzeit läutete. Und Margot war es gewesen, die, bevor sie die Eier mit einem Suppenlöffel ins kochende Wasser einlegte, sie mit einer Stecknadel anstach, so daß die Schalen während des Kochens nicht aufplatzten. Und Margot war es gewesen, die die Eier, nachdem sie genau fünfeinhalb Minuten gekocht hatten, ganz kurz in kaltes Wasser eintauchte, was Margot »abschrecken« nannte. Er lachte über dieses Wort und fand es seltsam, daß man Eier abschrecken konnte. Er vergaß im übrigen, daß er all diese Fertigkeiten schon längst nachahmte, und darin war immerhin eine Art von Dankbarkeit erkennbar. - (absch)

Abschrecken (2) Die Frau seines Freundes Dr. Burney kam auf Besuch; ihr Geplauder schien ihm zu gefallen. Sie hielt sich darüber auf, daß in Moorfields ein paar schöne neue Gebäude ausgerechnet zwischen der Irrenanstalt und dem Krankenhaus errichtet wurden; sie möchte jedenfalls nicht dort wohnen, erklärte sie.

JOHNSON. «Warum nicht? Man sieht dort nichts, was einem schaden könnte. Man denkt ebenso wenig an Wahnsinn, bloß weil ein paar Fenster nach einer Irrenanstalt gehen, als man an den Tod denkt, wenn vor den Fenstern ein Friedhof liegt.»

ELISABETH BURNEY. «Auf einen Friedhof mag man meinetwegen hinausschauen, es schadet nichts, wenn man an den Tod gemahnt wird.»

JOHNSON. «Was das betrifft, schadet es auch nichts, wenn man an den Wahnsinn gemahnt wird, der als Gefahr immer besteht, wo einer allzusehr seinem Innenleben frönt. Diese Neubauten könnten geradezu einem höheren Zweck dienstbar gemacht werden. Leute mit überspanntem Innenleben sollten dort wohnen, um ein abschreckendes Bild vor sich zu haben.»  - (johns)

Abschrecken (3)  Rom, März 1944. Jemand wurde von der Polizei gesucht, aus einem der Gründe, aus denen damals Leute von der Polizei gesucht wurden. Eines Tages, als dieser Mann bei seiner Mutter in der Wohnung war, erschien die Polizei. Das Hausmädchen kam erschrocken gelaufen und verkündete, an der Tür seien drei Polizisten mit Maschinengewehren, aber die Mutter sagte ruhig: »Sagen Sie, mein Sohn sei nicht da. Für alles andere sorge ich schon.« Die drei Polizisten begnügten sich nicht mit dieser Antwort und wollten die Wohnung durchsuchen. Sie öffneten die Türen zu allen Zimmern: sie fanden nichts. Sie machten auch die Tür zum Badezimmer auf, es war leer. Aber im Badezimmer befand sich noch eine Tür, und einer der Polizisten fragte, was das für eine Tür sei. Das Hausmädchen antwortete, das sei die Tür zum Abort, und der Polizist riß sie auf, zog sich aber sofort mit dem Ausruf: »Verzeihung!« zurück und schloß sie wieder. Auf dem Abortbecken saß eine bejahrte Frau. Die drei Polizisten gingen weg, und nun kam auch der Gesuchte, den seine Mutter hinter der Aborttür versteckt hatte, wieder hervor.  - Alberto Savinio, Neue Enzyklopädie. Frankfurt am Main 1986

Abschrecken (4)  Eine Frau erzählte mit Befriedigung, wieso die Russen nach kurzem Durchgang ihr Wohnhaus mieden: Im ersten Stock fanden sie eine Familie vergiftet auf den Betten, im zweiten Stock eine Familie erhängt an den Fensterkreuzen in der Küche. Worauf sie voll Schrecken flohen und nicht wiederkehrten. Man ließ für alle Fälle die Abschreckungsobjekte noch eine Zeitlang an ihrem Platz.   - Anonyma, Eine Frau in Berlin. Tagebuch-Aufzeichnungen vom 20. April bis 22. Juni 1945. Berlin  2005 (zuerst 1954)

Abschrecken (5) Sie waren bestürzt, aber nicht, weil er die Fassung verloren hatte, sondern weil die Grübeleien des Meisters einen bestimmten Eindruck hinterlassen hatten, den Eindruck nämlich, daß die Welt in seinen Augen völlig anormal sei und auch für sie so werden könnte. Kaum waren sie zu Hause, da sagten sie einander: »Wir wollen keine Meister mehr, wir wollen keine Leute mehr, die nur an ihre Bücher denken. Wir wollen normal sein und jemanden finden, in dessen Gesellschaft wir uns wohl fühlen, anstatt uns die Reden eines Verrückten anzuhören.« Die Treffen mit dem Meister waren nun zu Ende, von ihren Doktoraten und auch vom Studium der Werke des Jean-Jacques Rousseau war nun nicht mehr die Rede. Sie lasen Romane, gaben das Geld ihres Stipendiums für Schallplatten und Firlefanz aus, den sie sofort wieder wegwerfen konnten. - Gianni Celati, Die Novelle von den zwei Studenten. In: G. C., Cinema naturale. Berlin 2001

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