benteurer Gelesen: Thornton Wilder, «Die Brücke von San Luis Rey». Der Autor führt an einer Stelle die Kennzeichen des echten Abenteuers an - darunter die Gabe, mit Fremden ins Gespräch zu kommen.
Das dürfte in der Tat ein Merkmal ersten Ranges sein. Wenn wir unsere Bekannten mustern, werden wir nur wenige finden, deren Bekanntschaft uns nicht durch einen Dritten vermittelt worden ist. Menschen, mit denen wir direkt in Beziehung gerieten, begegneten wir meist schon unter ungewöhnlichen Umständen — auf Reisen, während eines Festes oder bei einem Unglücksfall.
Auch im erotischen Bereich regiert die direkte Art, etwa bei der Ansprache oder bei der Aufforderung zum Tanz. Es ist ein abenteuerlicher Zug, wenn ein Mann in einem dunklen Raume, etwa im Theater, nach einer unbekannten Frau die Hand ausstreckt.
Übrigens geschieht das öfter, als man gemeinhin denkt. So war Edmond
ein Kenner dieser Art, über deren Taktik er mir einmal einen langen Vortrag
hielt. Dabei fällt mir ein, daß ich auch mit ihm unmittelbar bekannt wurde;
er sprach mich in der Untergrundbahn an. In alle menschlichen Kreise treten
wir fast nur durch Einführung, wie es geselligen Wesen entspricht. Der
Abenteurer, der ungesellig ist, hilft sich durch
eigenes Talent. Auch die Autorschaft läßt sich
als geistiges Abenteuer betrachten, womit es zusammenhängt, daß jeder Autor
über eine Zahl von Bekannten verfügt, die er durch direkte Ansprache gewann.
- Ernst Jünger, Gärten und Straßen (27. Mai 1940)
Abenteurer (2) Es gibt an den Höfen dreiste Abenteurer,
die gleich einer Himmelserscheinung auftauchen und verschwinden; es sind
Menschen von ungezwungenem, vertraulichem Wesen, die sich selbst einführen,
vorgeben, daß sie in ihrer Kunst eine Geschicklichkeit besitzen, die allen
andern abgeht, und denen man aufs Wort glaubt. Sie nutzen die falsche Meinung
der Leute und ihre Lust am Neuartigen weidlich aus: sie brechen sich Bahn
durch die Menge der Wartenden und gelangen bis zum Ohr des Fürsten, mit
dem der Höfling sie sprechen sieht, beglückt, wenn er sie eines Blickes
würdigt. Sie sind den Großen darum so bequem, weil es zu nichts verpflichtet,
sie zu dulden, und leicht ist, ihnen den Abschied zu geben: dann verschwinden
sie, reich und verachtet zugleich, und die Welt, die sie eben getäuscht
haben, ist von neuem bereit, sich von andern betrügen zu lassen. -
(
bru
)
Abenteurer (3) Wie nun unser funkelnagelneuer Abenteurer des Weges hinzog, pflog er ernsten Gespräches mit sich selbst und sagte: Wer zweifelt, daß in kommenden Zeiten, wann die wahrhafte Geschichte meiner ruhmvollen Taten dereinst ans Licht tritt, der weise Zauberer, der sie verfassen wird, wenn er an die Erzählung gelangt dieser meiner ersten Ausfahrt so frühmorgens, folgendermaßen hinschreibt: Kaum hatte der rotwangige Apollo über das Antlitz der großen weithingedehnten Erde die goldnen Fäden seiner schönen Haupthaare ausgebreitet und kaum hatten die kleinen buntfarbigen Vögelein mit ihren spitzigen Zungen und mit sanfter honigsüßer Harmonie das Kommen der rosigen Aurora begrüßt, welche, das weiche Lager des eifersüchtigen Gemahls verlassend, sich aus den Pforten und Erkern des Manchaner Horizontes hervor den Sterblichen zeigte, als der berühmte Ritter Don Quijote von der Mancha, die müßigen Daunen verlassend, auf seinen berühmten Hengst Rosinante stieg und des Weges zu ziehen begann über das alte weitbekannte Gefilde von Montiel. - Und in der Tat ritt er eben darüber hin.
Und er sagte weiter: Glücklich das Zeitalter und glücklich das Jahrhundert, wo dereinst ans Licht treten die ruhmvollen Taten mein, würdig, in Erz gegraben, in Marmor gemeißelt, auf Tafeln gemalt zu werden zum Angedenken in aller Zukunft! O du weiser Zauberer, wer auch immer du seiest, dem es zuteil werden soll, der Chronist dieser merkwürdigen Geschichte zu sein, ich bitte dich, meines guten Rosinante nicht zu vergessen, meines ewigen Gefährten auf all meinen Wegen und Bahnen.
Dann sagte er wieder, als wäre er wirklich verliebt: O Prinzessin Dulcinea, Herrin dieses mit Gefangenschaft bestrickten Herzens! Große Unbill habt Ihr mir getan, mich abzuweisen und wegzustoßen mit der grausamen Strenge des Gebotes, daß ich vor Euer Huldseligkeit mich nicht mehr zeigen soll. Es beliebe Euch, Herrin, dieses Euch untertänigen Herzens zu gedenken, das so viele Nöten um Eurer Liebe willen erduldet.
An diese Ungereimtheiten reihte er noch vielfach andre an, alle in der
Art jener, die seine Bücher ihn gelehrt, indem er
ihre Sprache, soviel es ihm möglich war, nachahmte; und dabei ritt er so
langsam fürbaß, und die Sonne stieg so eilig und mit solcher Glut herauf,
daß es hingereicht hätte, ihm das Hirn breiweich
zu schmelzen, wenn er welches gehabt hätte. - (
don
)
Abenteurer (4)
Ballade von den Abenteurern 1 Von Sonne krank und ganz von Regen
zerfressen 2 O ihr, die ihr aus Himmel
und Hölle vertrieben 3 Er aber sucht noch in absinthenen Meeren
4 Schlendernd durch Höllen und gepeitscht durch Paradiese
|
- Bertolt Brecht, Hauspostille. Frankfurt am Main 1963 (BS 3,
zuerst 1927)
Abenteurer (5) Krutzinger ging mit Mizzi zu Dehmel. Als man eben aufbrechen wollte, stellte Krutzinger ärgerlich fest, daß er kein Geld bei sich habe. Mizzi öffnete lächelnd ihr Handtäschchen. Das Portemonnaie fand sich jedoch nicht vor. Krutzinger hatte es kurz vorher herausgenommen. Was tun! Nach kurzem verkniffenen Überlegen zwang er Mizzi, stehend den Kellner zu erwarten. Nachdem dieser drei Kronen achtzig Heller verlangt hatte, trat ihm Krutzinger gewaltig auf den Fuß. Der Mann schrie fast. Krutzinger entschuldigte sich herzlich und bemühte sich noch herzlicher um den Wankenden, dem er, als er von Schmerz und Schreck einigermaßen sich erholt hatte, auf die Schulter klopfte und herablassend sagte: "Ich gab Ihnen fünf Kronen. Behalten Sie den Rest als Schmerzensgeld. Auf Wiederschaun!"
Auf der Straße betrachtete ihn Mizzi bereits mit unverhohlener Bewunderung. Er war für sie nicht viel weniger als ein erstklassiger Abenteurer.
Inzwischen aber hatte sich Krutzinger tatsächlich verändert. Er war nicht nur mutig geworden, sondern auch frech, und zwar derart, daß auch dazu Mut gehörte.
So rief er einmal einem Bekannten, der Mizzi schüchtern begrüßte, laut
zu: "Mensch, nimm dich wieder mit nach Hause und laß dich nie mehr
allein herumlaufen!"; einem bekannten Maler, der, Mizzi zeichnend,
im Café am Tisch gegenübersaß: "Das Brautkleid seiner Mutter um den
Hals zu tragen, finde ich lieblos!"; dem '0ber': "Eigentlich
sehen Sie aus wie die Nachgeburt von Ihrem Bruder!"; und einem alten,
sehr beliebten, aber gänzlich glatzköpfigen Schauspieler über drei Tische
hinweg: "Kerl, setz doch den Hut auf! Wie kann man nur seinen Unterleib
so nackt herumlaufen lassen!" - Walter Serner, Mizzis
Verführung. In: W.S., Zum blauen Affen. Dreiunddreißig Kriminalgeschichten.
München 1983 (dtv 10176, zuerst 1921)
Abenteurer (6) Wir entdecken in einem von sehr gemischtem
Publikum besuchten Lokal einen Mann von Anfang vierzig, einen dem Anschein
nach besonders braven, in seiner Zeit eher verlegen dastehenden Menschen,
einen Büroarbeiter auf stillem Posten, der sich am Samstagabend nur ein
bißchen umsehn will, und neben ihm seine etwas füllige, kleine Frau mit
einem Entenschnuten-Mund. Sie hocken beide angespannt oder wie sie vielmehr
glauben: lässig hingegeben an der Bar, wo sie von Tunten, Dealern, Flippis,
Totalverfärbten eng umgeben sind. Sie machen jeden Samstag einen Ausflug
in die Scene und spüren dabei nicht ohne innere Erregung, wie alles was
an ihnen Mitte, Mehrheit, Durchschnitt ist, hier auf einmal, im anderen
Milieu, die Außenseiterrolle spielt. Ihre Fahrt vom Außenbezirk ins Zentrum
der Stadt ist in Wahrheit eine von der Mitte an den Rand, die Spießer werden
zu Exoten. Die Frau behält in der heißen Kneipenluft dennoch die Pelzmütze
auf dem Kopf, es ist Winter draußen. Auf die freigewordenen Hocker neben
sie setzt sich ein Schwulenpaar mit seinen Täschchen, seinem eau sauvage,
seinen Seidenhemden. Da sehen sich der Harmlose
und seine Gattin an — sie würden es wohl ›vielsagend‹ nennen - und müssen
ein Kichern unterdrücken. Etwas eigentümlich
Zurückgebliebenes, Unentwickeltes, etwas Backfischhaftes geht von ihnen
aus, und zwar von beiden, ohne Unterschied. Dabei sind sie doch gut miteinander,
verbergen nichts Unfreundliches, nichts Aggressives in ihren Gesichtern.
Keusch wie ein rotchinesisches Liebespaar, sind sie andererseits diesem
ganz perversen Schnüffeln an Bewegungen verfallen, ohne das sie nicht mehr
auskommen und dessentwegen es sie immer wieder an diese Orte einer müden,
längst entzauberten Verworfenheit zieht. Man betrachtet dieses sonderliche
Paar und möchte wissen, auf welchem sexuellen Exterritorium leben die in
dieser allgemeinen, gottverdammten Fick- und Ex-Gesellschaft? Man sieht
ihre Umarmungen stets das gleiche Ende nehmen: die kleine Frau hebt fragend
ihre Augenbrauen und lächelt ein mildes, doch nicht ganz freies Lächeln,
wenn ihr Mann die zittrigen Lider aufschlägt und keiner von beiden recht
bemerkte, wann es eigentlich geschah. - Botho Strauß, Paare, Passanten.
München 1984 (dtv 10250, zuerst 1981)
Abenteurer (7) Er mußte an dreißig sein und trug
einen Vollbart. Ich hatte ihn beim Kommen nicht näher angesehen, so sehr war
ich über die armselige Hütte bestürzt gewesen, die er mir überlassen und die
mich vielleicht jahrelang beherbergen sollte... Aber als ich ihn dann aufmerksamer
ansah, fand ich, daß er wie ein Abenteurer aussah; er hatte ein scharfkantiges
Gesicht, es war einer jener Empörerköpfe, die zu tief in das Dasein eindringen
und nicht darüber wegrollen wollen; meist haben solche Köpfe eine große dicke
runde Nase und volle Wangen wie ein Kahn, gegen den die
Wogen des Schicksals klatschend branden. Er war bestimmt ein unglücklicher Mensch.
- (
reise
)
Abenteurer (8) Er war zu einem kräftigen
Mann herangewachsen, mit einem flachen, durch Whisky und die Hitze in den Tropen
geröteten Gesicht, feuerrotem Haar und Augen, aus denen grüne und blaue Blitze
schössen. In Ümdurman im Sudan war er einer von Kitcheners Sergeants gewesen.
Er hatte die beiden Nile gesehen, ein Grabgewölbe, geflickte Dschibbahs, die
weiten, hemdartigen Kleider der mohammedanischen Frauen und die ‹Fuzzy-Wuzzies›,
Wüstenkrieger, die sich Ziegenfett ins Haar schmierten und sich bei einem Kavallerieangriff
auf die Erde legten, um den Pferden mit ihren kleinen, runden Messern die Bäuche
aufzuschlitzen. - (
pat
)
Abenteurer (9) Sie hatte ihm nur wenig über sich
erzählt. Vollauf mit seinen eigenen Gefühlsregungen beschäftigt, hatte er auch
dies wenige kaum aufgefaßt. Sie war, wie es schien, sehr arm; vorläufig aber
— sie sagte es mit einem gewissen Stolz — brauchte sie nicht zu arbeiten, um
zu leben. Das machte das Abenteuer um so angenehmer, denn die Gegenwart des
Hungers stört, wo man sich amüsieren will. Emilios Kenntnisse über Angiolina
waren also nicht sehr tiefgehend, er hielt sie aber für hinreichend, um aus
ihnen beruhigende Schlüsse ziehen zu können. Wenn sie — was man nach ihrem klaren
Blick annehmen durfte — anständig war, dann wollte gewiß nicht er derjenige
sein, der sich der Gefahr aussetzte, sie zu verderben;
wenn aber Gesichtszüge und Augen trogen, um so besser. Im einen wie im anderen
Fall konnte man sich amüsieren, in keinem Fall riskierte
man etwas. - Italo Svevo, Ein Mann wird älter. Frankfurt am Main
1982 (BS 301, zuerst 1898)
Abenteurer (10) Es war ein ziemlich kleiner, geschmeidiger,
gebräunter Mann, der einem abgesetzten Indianerhäuptling in europäischer Kleidung
glich. Aus seinem wilden beherrschten Blick sprach eine unbezwingbare, zur vollkommenen
Gelassenheit gesteigerte Begeisterung. Er trug elegante und etwas ausgefallene
bürgerliche Kleidung. Seine Haltung verriet ländlich barbarische, eigenartig
oberflächlich von den Pariser „Salons" beeinflußte Ungezwungenheit. Seine
dattelbraunen Wangen erinnerten an die Tropen. Eine
erstaunliche Atmosphäre stolzer Freundlichkeit und verachtungsvoller Zurückhaltung
umgab ihn. Und doch hatte er ebenso etwas von einem Dichter wie von einem Geächteten
an sich. Ein Zug kalter, ernster Unerschrockenheit umgab seinen Mund. Er sah
aus wie jemand, der bewußt die Gefahr sucht, wie jemand, der sich niemals einem
anderen untergeordnet hat noch dies in Zukunft jemals tun würde. - Herman
Melville, Israel Potter. Fünfzig Jahre im Exil. In: H. M., Redburn. Israel Potter. Sämtliche
Erzählungen. München 1967 (zuerst 1854/55)
Abenteurer (11) Die Abenteurer werden von verschiedenen
Dingen verwirrt, denn sie sind voll der Unrast, die
in unseren Nationen gedeiht und die sie zusammen mit den anderen Waren exportieren.
Abends machen sie sich im Zwischengeschoß bei Schwester Tran mit langen nervösen
Redereien Luft, Whisky trinkend und mit der Faust auf den Tisch schlagend, bis
sie plötzlich der Schlaf überfällt, halbbetrunken und allem überdrüssig. Am
Morgen reisen sie ab, hinterlassen einige Dollarnoten auf dem Tisch, und Schwester
Tran schaut ihnen nach, wenn sie zu ihrem Hubschrauber gehen; sie sieht sie
häufig schwanken, benebelt von dem unerträglichen Gefühl, das dieser Ort in
ihnen erweckt: das Gefühl eines mittelmäßigen, an das Nichts verschenkten Lebens,
was sie zur Weißglut bringt. Wenn sie einem männlichen Eingeborenen mit seinem
typischen leeren Blick begegnen, werden sie schon früh am Morgen von einer so
gewaltigen Mordlust gepackt, daß sie nach ihren Pistolen greifen und den Pechvogel
am liebsten massakrieren würden, damit er vom Erdboden verschwindet. Aber der
hat gewöhnlich aus Schrecken vor ihrem martialischen Ausschreiten schon Reißaus
genommen; dann schießen sie hinter ihm her, manchmal treffen sie ihn, aber ohne
rechte Genugtuung.
- (fata)
Abenteurer (12) Ich habe
nie Näheres über seine Vergangenheit erfahren können; daher weiß ich nicht,
wer seine Mutter war, welche Beziehungen ihn in seiner Jugend mit unserem Großvater
verbunden hatten (gewiß muß auch dieser ihm sehr gewogen gewesen sein, da er
ihn auf den Anwaltsberuf vorbereitet und ihm den Titel eines Cavaliere verschafft
hatte) und weshalb er schließlich in die Türkei kam. Es steht auch nicht genau
fest, ob er sich wirklich so lange in der Türkei oder ob er sich vielmehr bei
den Barbaresken, in Tunis oder in Algier aufgehalten hatte. Jedenfalls war es
ein mohammedanisches Land, und es ging die Rede, er selbst sei damals Mohammedaner
geworden. So vielerlei erzählte man sich: Als hoher Würdenträger des Sultans
habe er wichtige Ämter verwaltet, sei Wasserbaumeister des Diwans oder dergleichen
gewesen, dann aber durch eine Palastverschwörung oder weibliche Eifersucht oder
Spielschulden in Ungnade gefallen und als Sklave verkauft worden. Bekanntlich
wurde er als angeketteter Rudersklave in einer von den Venezianern erbeuteten
ottomanischen Galeere aufgefunden und von diesen befreit. In Venedig führte
er nahezu ein Bettterdasein, bis er auch dort etwas anstellte, in eine Schlägerei
verwickelt wurde (wie es bei einem so scheuen Menschen dazu kommen konnte, weiß
der Himmel), worauf er wieder in Ketten endete. Unser Vater löste ihn aus, wobei
die Republik Genua ihre guten Dienste zur Verfügung stellte, und so tauchte
er bei uns auf: ein kahlköpfiges Männchen mit schwarzem Bart, das ganz verschüchtert
war, kaum ein Wort hervorbrachte (ich war damals ein kleiner Junge, aber die
Szene jenes Abends hat sich mir fest eingeprägt) und in weiten Kleidern steckte,
die ihm nicht gehörten. - Italo Calvino, Der Baron auf den Bäumen.
München 1984 (zuerst 1957)