bendspaziergang
Cäcilie Melker-Räuchlin wußte alles von ihm. Auch die Sache mit Lisi
Blatter, der Serviertochter im ›Bären‹, eine Woche nach seinem Kurhausaufenthalt.
An einem Samstag abend. Moses Melker mußte von Sinnen gewesen sein. Die Bretter
über dem Abgrund hatten nachgegeben, und wiederum hatte es mächtig geplanscht.
Wer vergewaltigt schon eine Kellnerin und schmeißt
die Leiche in die Grien, in einen Forellenbach, der sich an Grienwil und Matten
vorbei in die Emme schlängelt. Er hatte nur einen Abendspaziergang machen wollen.
Es war auch gar keine Vergewaltigung. Lisi konnte nicht genug haben. Aber dann
hatte sie gesagt, kein Wunder, daß er nicht genug haben könne, bei seiner Alten.
Da sei er eben ausgehungert. Darauf hatte er sie angefallen und erwürgt. Daß
er sie noch in den Bach schmiß, war sinnlos. »Du wirst mich nie kriegen«, hatte
sie Egglers Knecht Sämu auf der Brücke ins Gesicht gelacht und Moses Melker
die Grien hinauf unter die Weiden gezerrt. Er schaute lange auf die Leiche in
der Grien. Die Glocken von Grienwil begannen zu läuten, dann die von Matten,
die von Bubendorf etwas später. Bubendorf kam immer später. Darauf waren auch
die Glocken von Niederalmen zu hören. Es war wie bei einer Beerdigung. Tränen
liefen über Moses Melkers Backen. Die Grien floß träge dahin. Sie war nicht
tief. Lisi lag in einer Mulde. Manchmal kam eine Forelle, manchmal bewegte sich
die Leiche. Die Glocken von Grienwil hörten auf zu läuten, dann die andern.
Nur die von Niederalmen waren noch zu hören. Die hatten dort einen ökumenischen
Gottesdienst. Als er zur Brücke zurückkehrte, war Sämu immer noch dort. Moses
Melker blieb neben ihm stehen. Beide schauten in den Bach. Die Sonne war hinter
dem Hubel schon untergegangen. Lisis Leiche kam die Grien hinuntergetrieben.
Sämu sagte Gottverdeckel. Jetzt waren auch die Glocken von Niederalmen nicht
mehr zu hören. Der Ökumenische Gottesdienst hatte begonnen. Auf Moses Melker
lastete der Reichtum. Er hatte Emilie Lauber, Ottilie Räuchlin und Cäcilie Räuchlin
geheiratet und nicht ein sinnliches Donnersweib wie Lisi Blatter, deren Leiche
friedlich mit weitgeöffneten Augen unter der Brücke verschwand, wieder zum Vorschein
kam und weiterglitt, der Emme zu. Die Leiche hatte etwas Triumphierendes. Sämu
sagte Himmelsterne noch einmal und watete der Leiche nach. - Friedrich Dürrenmatt, Durcheinandertal. Zürich
1998
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