Abendmahl, heidnisches  Am Morgen haben sich hinter einem Haus eine Anzahl Zwerge versammelt, die Nacht vorher war bereits in diesem Haus sehr auffällig gesungen und geweint worden. Die Soldaten denken, es ist jemand da krank. Und dann stellen sich am Morgen die Leute aus dem Haus und noch andere an der Rückwand des Hauses auf, und nach allerhand Gerede und vielen Prozeduren nehmen welche Schaufeln und fangen an zu graben. Im ganzen Ort ist dabei große Unruhe, die kleinen Leute haben sich auffällig mit Farbe beschmiert, die Soldaten, die herumlungern, sehen, wie sich aus einer großen Hütte abseits phantastische Figuren entwickeln. Sie tragen riesige Trompeten und blasen hinein, in drolligen Hin- und Hersprüngen bewegen sie sich auf den kleinen freien Platz im Ort, wo sich schon viele versammelt haben, auch Frauen und Kinder. Die Weißen in der Nähe jenes Hauses - Federmann ist selbst mit einem Kapitän dabei - beobachten einen schauerlichen Vorgang. Sie haben erst nicht verstanden, wonach die Dunkelhäute graben, und haben sich gewundert, daß man sie zusehen läßt, wie man einen Schatz aushebt, sie dachten auch, es ist einer gestorben, und man wird die Leiche bringen.

Aber es steigen zwei Männer mit wallendem Federputz um Kopf und Brust in die Grube und heben einen hohen bemalten Topf heraus. Den stellen sie auf einen Teppich von Palmblättern. Ein lautes Schreien erhebt sich dabei unter den Leuten, die herumstehen. Man fällt ehrerbietig hin. Und nun reißen die beiden Männer mit dem Federputz einen Überzug von dem großen Topf ab und heben eine schwarze trockene Masse herauf. Es ist ein Toter. Er ist ganz unbekleidet. Man hat ihm den Kopf auf die Brust gedrückt und die Beine bis zum Kinn angezogen. So legen sie das Bündel, das nicht schwer zu sein scheint, neben den Topf auf die Blätter nieder. Schreien und Klagen umgibt ihn. Und jetzt hüpfen die Maskenträger und Bläser vom Marktplatz an. Die Leute hinter dem Haus haben ein großes Feuer angezündet, und der Tote, der so lange in dem Topf gelegen hat, sehen die Weißen, wird auf einem Holzstoß verbrannt. Dabei springen die mit den Masken ununterbrochen mit merkwürdigen Bewegungen gegeneinander, und die Trompeter hören mit ihrem -langen dumpfen Blasen nicht auf. Das dröhnt und blökt, manchmal eine Trompete allein, manchmal mehrere zusammen, manchmal alle zugleich in verschiedener Höhe. Der General fragt beklommen seinen Dolmetsch, was denn das Ganze vorstelle.

«Es ist die Totenfeier.» «Aber der Mann ist doch schon lange tot.» «Er ist vor fünfzehn Jahren gestorben. Es war ein Häuptling.» «Und warum läßt man ihn nicht liegen?» Der Dolmetsch, ein Dunkelfarbiger, antwortet: «Sie halten den Brauch. Der Tote verlangt es.» Er gibt nicht mehr Auskunft, über manche Dinge, Federmann weiß es schon, schweigt er sich aus.

Der Tote brennt auf dem Holz, sie haben einen neuen Topf, dahinein werfen sie die verkohlten Knochen, und nun wandert alles, nachdem man das Loch hinter dem Haus zugeschüttet hat, nach dem Platz. Und erst auf dem Platz bemerken sie das Scheußlichste, das ihnen am Haus nicht aufgefallen war: man hat nicht den ganzen Toten verbrannt, eine der Masken trägt auf den Händen den kleinen schrumpfligcn schwarzen Kopf des Toten, eine Kugel mit einem kurzen Stiel. Feierlich geht er, umgeben von den grausigen Bläsern, den Masken voraus, und sie hüpfen, stampfen, rücken vom Platz in die Hütten zur Seite. Auf dem Platz ist es in diesem Augenblick sehr lustig, Kochfeuer werden entzündet, die Leute, die sich hinter dem Haus versammelt hatten, der Häuptling dabei, hocken darum, sie haben den Topf mit den verbrannten Knochen bei sich. Man sieht, sie zerstoßen die Knochen, erhitzen den Topf Über dem Feuer, stoßen und mahlen weiter, und jetzt schleppt man aus dem Ort große Kalebassen Kaschiri an, den Festtrank, und den gießen sie in den Topf zu dem Knochenmehl des Toten und sieben das, und erst trinkt der Häuptling, dann die Nächsten in der Mitte, dann geht es herum.

Der weiße General hat das gesehen, er sagt zu dem Kapitän: «Es fehlt nicht viel, so bieten sie uns das auch an.» Der Mönch spricht zu den Kapitänen: «Ihr habt recht, es sind keine Menschen, es sind Tiere, sie fressen ihre Toten. Die drüben, die in der Mitte, kenne ich, es sind seine beiden Söhne, sie saufen das Bier mit der Asche ihres Vaters.» Der pockennarbige Lopez, der blonde große, spottet: «Pater, Ihr habt die Gesellschaft gestern getauft. Eure ganzen Gnaden gehen verloren.»

Während Federmann angewidert den Festplatz verläßt, warten die beiden Kapitäne, bis sich der festliche Lärm etwas gelegt hat und die Leute durcheinander laufen, dann holen sie sich den Häuptling und einige andere beiseite. Durch den Dolmetsch läßt der grobe Gonzalo den Häuptling fragen: «Weißt du, Kerl, daß du getauft bist?» «Ja.» «Was hast du Hund nun gemacht? Eine Leiche aufgefressen.» «Es war ein großer Mann. Fünfzehnmal Regen- und Trockenzeit hat er gelegen, jetzt ist er unser großer Ahne und wird uns helfen.»   - Alfred Döblin, Amazonas-Trilogie. Bd.1, Land ohne Tod. München 1991

 

Abendmahl Heiden

 

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