Abbüßen   »Weshalb weinst du?«

»Ich weiß es nicht. Mir ist nichts geschehen, was meinen Erwartungen zuwider. Das Wasser meiner Augen ist grundlos vergossen. Ob ich lache oder weine, mein Zustand wird nicht anders sein als er ist. Daß ich weine, ist eines jener Mittel, die bewirken, daß mein Herz nicht bricht. So weiß ich denn., es gibt für mich noch ein Morgen.« »Es muß ein Anlaß sein -«

»Ich büße. Das ist der Anlaß und der ganze Inhalt. Ich büße, daß ich mein Leben halte. Meine Existenz ist an eine nicht zu mindernde Schuld gebunden, ob ich es auch nicht begriffe. Ich habe mein Leben nicht erfunden. Ein Fremder hat mein Leben erfunden. Seine Verfehlungen werden in mir gebüßt. Es könnte mich trösten, daß ich für jemand außer mir büße. Aber ich fürchte, ich lüge. Ich bin ein unwahrhaftiger Mensch. Ich könnte die Behauptung aufstellen, wenig habe ich von mir abgenommen, wenig nur hinzugefügt. Doch strotze ich von Vergeßlichkeit. Das eine ist vielleicht eine Schuld, das andere beweist Schlimmeres. Dann büße ich um meiner eigenen Vergehen willen. Es ist sehr schwer, Sicheres zu sagen. Meine Zunge lechzt dennoch. Könnte ich erkennen, der Durst ist eine Gerechtigkeit gegen mich, würde er aufhören, Durst zu sein. Könnte ich erfahren: alles Nichterfüllen leitet meine große Läuterung ein, ist Strafe für meine Verfehlungen, der Geruch der Seligkeit würde in meine Nase ziehen. Meine Traurigkeit blüht daran, daß ich für unge-wußte Sünden büße. Ich werde nicht geläutert werden. Ich bin außer den Religionen. Ich gehe an keinem Seil, ich werde ein Wurm werden. Es ist unmöglich, daß Gutes aus meiner Verzweiflung kommt.« Signes Herz krampfte sich zusammen. Sie wollte ihm etwas erwidern.  - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main 1966  (zuerst 1929)

Buße

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