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Doktor Rogé hat seinen Calvados getrunken. Sein großer Körper sackt in sich
zusammen, und seine Lider fallen schwer herunter. Zum erstenmal sehe ich sein
Gesicht ohne die Augen: man könnte meinen, eine Pappmaske wie die, die heute
in den Geschäften verkauft werden. Seine Wangen haben eine scheußliche rosa
Farhe ... Die Wahrheit enthüllt sich mir plötzlich: dieser Mann wird bald sterben.
Er weiß es bestimmt; er braucht sich nur in einem Spiegel angeschaut zu haben:
er wird jeden Tag der Leiche, die er sein wird, ein bißchen ähnlicher. Das also
ist ihre Erfahrung, darum also habe ich mir so oft gesagt, daß sie nach o
riecht: sie ist ihre letzte Verteidigung. Der Doktor möchte gern daran glauben,
er möchte die unerträgliche Realität verbrämen: daß er allein ist, ohne Wissen,
ohne Vergangenheit, mit einer Intelligenz, die teigig wird, mit einem Körper,
der abbaut. Also hat er wohlweislich seinen kleinen, ausgleichenden Wahn konstruiert,
eingerichtet, ausgepolstert: er sagt sich, er werde reifer. Er hat Gedächtnislücken,
Momente, in denen in seinem Kopf Leerlauf ist? Das liegt daran, daß sein Urteil
nicht mehr die Überstürztheit der Jugend hat. Er versteht nicht mehr, was er
in den Büchern liest? Das liegt daran, daß er jetzt weit über die Bücher hinaus
ist. Er kann nicht mehr lieben? Aber er hat geliebt. Geliebt zu haben, das ist
viel besser, als noch zu lieben: mit dem Abstand gewinnt man ein Urteil, man
vergleicht und denkt nach. Und dieses schreckliche Leichengesicht, um seinen
Anblick im Spiegel ertragen zu können, strengt er sich an, zu glauben, die Lektionen
der Erfahrung hätten sich darin eingeprägt.
- Jean-Paul Sartre,
Der Ekel. Reinbek bei Hamburg 2004 (zuerst 1938)
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